Der die Zeichen liest
Mit Mitteln grotesk-satirischer Überzeichnung erzählt das Außenseiter-Drama von einem Kaliningrader Schüler, der sich wegen leicht bekleideter Mitschülerinnen beim Schwimmunterricht in seinen religiösen Gefühlen verletzt sieht und sich weigert teilzunehmen. Immerzu Bibelstellen zitierend begibt sich der selbsternannte Prophet des Jüngsten Gerichts auf einen Kreuzzug gegen seine angeblich gottvergessene Umgebung, in der ihm einzig die aufgeklärte Biologielehrerin Paroli zu bieten vermag.
Uchenik
Drama
ab 10. Klasse
ab 15 Jahre
Ethik, Religion, Sozial-/Gemeinschaftskunde, Deutsch, Russisch
Individuum (und Gesellschaft), Außenseiter, Erziehung, Russland, Religion, Sinnsuche, Rebellion, Fundamentalismus, Familie, Schule, Erwachsenwerden, Homosexualität
19.01.2017
Inhalt
Benjamin lebt bei seiner alleinerziehenden Mutter in Kaliningrad und ist Schüler an einer auf den ersten Blick liberalen Schule. Weil der Anblick der Mitschülerinnen in Bikinis seine religiösen Gefühle verletze, weigert sich der zum Christentum Konvertierte eines Tages am Schwimmunterricht teilzunehmen. Mit einem Stakkato wörtlich genommener alttestamentarische Bibelzitate beginnt der selbsternannte Prophet des Jüngsten Gerichts einen rebellischen Kreuzzug gegen das angeblich gottlose Laissez-Faire und die Fortschrittsgläubigkeit seiner Umgebung. Im zusehends klein beigebenden Kollegium stellt sich ihm allein die aufgeklärte atheistische Biologielehrerin in den Weg. Sie versucht ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, wenn er sich provokativ gegen sexualkundlichen Unterricht mit Möhren und Kondomen auflehnt, als Affe verkleidet die Evolutionslehre verspottet, Homosexualität geißelt oder ein riesiges Holzkreuz in der Schule anbringt. Am Ende muss Grigory, ein ständig gemobbter gehbehinderter Mitschüler, den Benjamin zum Dank für seine Anhänglichkeit zum Jünger macht, für seine Zuneigung mit dem Leben bezahlen.
Umsetzung
Der auf der Basis eines Theaterstücks entwickelte Film kehrt die aus Außenseiterdramen bekannte Figur des meist anders motivierten Auflehnens Jugendlicher gegen die Erwachsenenwelt um. Die Erzählung lässt einen Teenager mit wörtlich genommenen, durch Inserts nachgewiesene Bibelzitate in teils satirisch-grotesk übersteigerter Weise gegen seine Umgebung rebellieren. Dramaturgisch erscheint das schwarzhumorige Lehrstück wie eine Versuchsanordnung für Reaktionen auf derartig widerständiges Verhalten. Die oft in langen Sequenzen erzählte, pointiert von Streicher-und Klaviermusik ebenso wie Heavy Metal-ähnlichem Score unterlegte Parabel zeigt die zusehends hilfloser reagierenden Figuren des familiären und schulischen Umfelds. Spätestens wenn der Kreuzzug des Protagonisten immer fundamentalistischere, auch gewalttätige Züge annimmt und sich selbst ad absurdum führt, offenbart sich das Überdrehte des erzählerischen Konstrukts.
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit
Das Sujet der unkonventionellen Auflehnung eines Schülers mitsamt den zwiespältigen Reaktionen der Umgebung bietet sich für eine vertiefende pädagogische Erarbeitung geradezu an. Dabei entziehen sich einige der im Film angedeuteten, erst vor dem spezifisch postkommunistischen Hintergrund des russischen Gesellschafts- und Bildungssystems mit Hilfe zusätzlicher Informationen angemessen zu erschließenden Themen der umstandslosen Übertragung auf andere Religionen, hiesige Schul- und Erziehungsverhältnisse etc. Die Auseinandersetzung mit der grotesk übersteigerten Darstellungsweise des religiösen, sich selbst dekuvrierenden Fundamentalismus erfordert einiges Fingerspitzengefühl. Bei der inhaltlichen Analyse sollte man die innerfilmisch mehr oder weniger angedeuteten, nicht hinreichend entwickelten möglichen Beweggründe für das Denken und Handeln der rebellischen Hauptfigur ebenso eingehend diskutieren wie die reaktiven Verhaltensweisen der Mutter, der Mitschüler/innen und insbesondere der „Wortführer“ im Lehrerkollegium.
Veranstaltungen
Wenn Sie Interesse an einer Schulkinoveranstaltung haben, setzen Sie sich bitte mit einem Kino in Ihrer Umgebung in Verbindung. Dort wird man Sie gern beraten. Gern sind wir Ihnen auch bei der Kontaktaufnahme behilflich.
Downloads
FilmTipp_Der_die_Zeichen_liest.pdfKirill Serebrennikov
Kirill Serebrennikov nach dem Theaterstück „Märtyrer“ von Marius von Mayenburg
Petr Skvortsov, Victoria Isakova, Svetlana Bragarnik, Anton Vasiliev, Julia Aug, Aleksandra Revenko, Aleksandr Gorchilin, Nikolai Roschin u. a.
118 Min
deutsche Fassung, russische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
digital, Farbe
ab 12 Jahre
Neue Visionen Filmverleih
69. Filmfestspiele Cannes 2016, Un Certain Regard; Europäischer Filmpreis 2016 für Beste Filmmusik