Herr Bachmann und seine Klasse
Wie die Fliege an der Wand eines deutschen Klassenzimmers: Die Dokumentarfilmerin Maria Speth hat eine sechste Klasse voller Quereinsteiger*innen aus zwölf verschiedenen Ländern und ihren außergewöhnlichen Lehrer über ein Schulhalbjahr begleitet. Entstanden ist ein dreieinhalbstündiges Werk in der Tradition des Direct Cinema, das die Herausforderungen im System Schule exemplarisch einfängt und für ein solidarisches Miteinander in der Bildung wirbt.
Dokumentarfilm
ab 6. Klasse
ab 12 Jahre
Wir empfehlen den Film besonders für Pädagog*innen, Lehrkräfte und Erzieher*innen, auch in der Ausbildung
Bildung, Schule, Migration, Migrationsgesellschaft, Diversität, Musik
16.09.2021
Inhalt
Morgengrauen im hessischen Stadtallendorf: Ein Linienbus schiebt sich durchs Industriegebiet, in der Bäckerei „Yilmaz“ herrscht schon Betrieb, nur die Schüler*innen der 6b wirken zum Unterrichtsbeginn müde. „Na dann tauchen wir alle noch mal zwei Minuten ab“, sagt Klassenlehrer Dieter Bachmann, und wie auf Kommando sinken die Köpfe auf den Tisch. In dem 65-jährigen Pädagogen mit Strickmütze und ACDC-Shirt hat die Dokumentarfilmerin Maria Speth einen charismatischen Protagonisten gefunden – und in seiner Klasse an der Georg-Büchner-Schule eine Modellkonstellation aus dem deutschen Schulalltag. Die Jugendlichen aus zwölf verschiedenen Ländern sind erst seit kurzem in Deutschland, ihre Sprachkenntnisse und Lernkompetenzen verschieden. Sie sind im wichtigen Jahr vor dem Übergang in eine weiterführende Regelklasse. Und ihre Lehrkräfte stehen mit Herrn Bachmann und seiner jüngeren Kollegin Frau Bal für zwei Generationen Schuldienst.
Umsetzung
HERR BACHMANN UND SEINE KLASSE beobachtet im Direct-Cinema-Stil, also ohne sichtbare Präsenz der Kamera und ohne erklärenden Kommentar, das bunte Treiben in diesem Klassenraum: Es wird gelernt, gelacht, gestritten, getröstet – und vor allem: musiziert. Mal ist es ein Soloauftritt von Bachmann, der ein Gespräch über Homosexualität in Gang bringt, mal eine kollektive Jamsession, um beim Krachmachen Dampf abzulassen. Bachmann geht auf die Bedürfnisse der Lerngruppe ein, lässt sie über Erfahrungen und Gefühle sprechen, bewahrt sich mit Ich-Botschaften aber auch Respekt. Gleichzeitig werden wir Zeugen unterschiedlicher pädagogischer Methoden und Reflexionsebenen. Es ist die Stärke der dokumentarischen Langzeitbeobachtung, die Facetten der Gruppe, aber auch die spezifischen Schwierigkeiten von Neuankömmlingen wie Stefi, Ilknur oder Ferhan zu beleuchten. Über ein komplettes Schulhalbjahr war das dreiköpfige Filmteam in der Klasse. Entstanden ist ein dreieinhalbstündiges Werk in der Tradition von Frederick Wiseman, das für ein solidarisches Miteinander in der Bildung wirbt.
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit
Der Film eignet sich hervorragend, um in verschiedenen Kontexten ein Gespräch über die Voraussetzungen für gute, ideenreiche Bildung anzuregen. Spezifisch ist er aber besonders für die Lehrausbildung interessant, weil er grundsätzliche systemische Fragen zu Notenvergabe, Wertevermittlung und Förderung von Kindern mit unterschiedlichen Leistungsniveaus aufwirft. Dies lässt sich von angehenden Lehrenden an anschaulichen Best-Practice-Szenen diskutieren, etwa wenn Bachmann einen Schüler im Plenum damit konfrontiert, warum er einer Mitschülerin nicht helfen möchte. Immer wieder ringt er selbst mit dem Einfluss, den Noten auf die künftige Schullaufbahn seiner Schüler*innen nehmen könnten. Die interkulturelle Sensibilität im Umgang mit einer so diversen Klasse ist ein weiterer Schwerpunkt: Das Interesse des Pädagogen an den verschiedenen Sprachen und Geschichten der Schüler*innen vermittelt Vielfalt als Bereicherung und trägt zum Entstehen einer Klassengemeinschaft bei. Dabei zeigt sich, dass insbesondere kulturelle Bildung, hier am Beispiel der Musik, einen großen Beitrag leisten kann, wenn Sprachbarrieren die Lernkompetenz in anderen Fächern noch beeinträchtigt. Filmanalytisch ist interessant zu diskutieren, wie die Kamera hier die „Autoritätsperson“ Bachmann in Szene setzt. Fügt sich das Porträt der 6b durch die Dramaturgie des Films zum repräsentativen Bild der Institution Schule?
Veranstaltungen
Wenn Sie Interesse an einer Schulkinoveranstaltung haben, setzen Sie sich bitte mit einem Kino in Ihrer Umgebung in Verbindung. Dort wird man Sie gern beraten. Gern sind wir Ihnen auch bei der Kontaktaufnahme behilflich.
Maria Speth
Maria Speth
Dieter Bachmann, Aynur Bal, Önder Cavdar und die Schüler*innen der Klassen 6 b und 6 f
217 Min
deutsche Originalfassung
digital, Farbe
ohne Altersbeschränkung
Grandfilm
Internationale Filmfestspiele Berlin 2021: Silberner Bär (Preis der Jury), Publikumspreis