Nelly & Nadine
In NELLY & NADINE erzählt schwedische Regisseur Magnus Gertten von einer Liebe, die Weihnachten 1944 im KZ Ravensbrück begann und für die beiden Frauen zu einer lebenserhaltenden Kraft wurde. In seinem Film begleitet er die Nellys Enkeltochter dabei, wie sie ihrer eigenen Familiengeschichte nachspürt. Sein einfühlsames Porträt zweier ungewöhnlicher Frauen wirft Fragen auch, die auch heute noch politisch relevant sind.
Dokumentarfilm, Biografie
ab 9. Klasse
ab 14 Jahre
Geschichte, Deutsch, Ethik, Philosophie, Politik, Sozialkunde
Biografie, Liebe, Familie, Geheimnisse, Nationalsozialismus, LGTBQ+, Homosexualität, Trauma/Traumabewältigung, Menschrechte, Gender/Geschlechterrollen
24.11.2022
Inhalt
Ein paar Stapel Papier, vergilbt und eng beschrieben, und Kisten auf dem Dachboden – das ist der Nachlass der belgischen Sängerin Nelly Mousset-Vos (1906-1987). Er ist im Besitz ihrer Enkelin Sylvie, die mit ihrem Mann einen Bauernhof in Nordfrankreich betreibt. Nie hat sie gewagt, die Tagebücher und Briefe ihrer Großmutter zu lesen, die Truhen zu öffnen. Über das Vergangene und die Zeit, in der Nelly als politische Gefangene in den NS-Vernichtungslagern, unter anderem in Mauthausen, dem „Vorzimmer zur Hölle“, interniert war, hat die elegante Dame nie gesprochen. Der Schmerz wurde verdrängt und das Schweigen Familientradition. Und so wusste auch niemand genau, in welcher Beziehung Nelly zu Nadine stand. Die beiden Frauen hatten sich im Dezember 1944 im KZ Ravensbrück kennengelernt, verloren sich kurzzeitig aus den Augen und lebten ab 1950 zusammen in Venezuela. Zwanzig Jahre nach dem Tod ihrer Großmutter beginnt Sylvie, deren Geschichte zu erkunden.
Umsetzung
Manchmal sind es Gesichter, die einen nicht mehr loslassen. Für Regisseur Magnus Gertten war es jenes von Nadine Hwang (1902-1972), das er in einer alten Wochenschau entdeckte. Die Frau war eine von 15.000 Überlebenden aus NS-Lagern, die am 28. April 1945 in Malmö ankamen. Warum blickt sie ernsthaft, fast fragend im Jubel der anderen? Damit beginnt eine Spurensuche, die den Filmemacher zu Sylvie führt und die er dazu anregt, sich ihrer Familiengeschichte zu stellen. Sylvie, ihre Kindheitserinnerungen und Nachforschungen strukturieren den Film. Aus ihrer Gegenwart wird die Vergangenheit erzählt, die in den verlesenen Aufzeichnungen ihrer Großmutter Gestalt annimmt. Und so erfährt Sylvie nicht nur, dass Nelly ein Mitglied der Résistance war, sondern auch von der alles überdauernden Liebe zu Nadine. Auf visueller Ebene ergibt sich eine Kompilation aus Gesprächen, Archivaufnahmen, Fotografien und von Nadine gedrehten 8-mm-Filmen. Ländliche Bilder aus dem schwarz-weißen Dokumentarfilm SYMPHONIE PAYSANNE (R: Henri Storck, Belgien 1942-43) untermalen Nellys Erinnerungen aus Ravensbrück und Mauthausen und verstärken im Kontrast das unvorstellbare Grauen.
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit
„Nichts existiert gesellschaftlich, bis man es äußert“, sagt die Literaturbiografin Joan Schenkar im Gespräch mit Sylvie Bianchi. Sie bezieht sich damit auf die Tatsache, dass Sylvies Großmutter eine Frau liebte. Ein Familiengeheimnis, das die Enkeltochter erst im Laufe ihrer Nachforschungen realisiert. Nelly und wahrscheinlich auch Nadine wurden zwar aus politischen Gründen verfolgt, dennoch bietet der Film Anlass, sich mit LGBTQ+-Rechten zu beschäftigen. Immer noch wird in vielen Staaten Homosexualität strafrechtlich verfolgt und damit ein grundlegendes Menschenrecht unterbunden. Nellys Aufzeichnungen sind zudem historische Zeugnisse. Sie geben Einblick in die NS-Vernichtungsmaschinerie, fragen aber auch nach der Aufarbeitung dieser Zeit. Auch Sylvie vermied jahrelang eine Konfrontation damit. Was waren ihre Beweggründe und welche Folgen – individuell wie gesellschaftlich – kann es haben, wenn erlittene Traumata nicht verarbeitet werden? Auf filmischer Ebene lässt sich analysieren, wie und mit welchem Effekt der Film Nellys Erinnerungen visualisiert. Hätte es andere Möglichkeiten gegeben?
Veranstaltungen
Wenn Sie Interesse an einer Schulkinoveranstaltung haben, setzen Sie sich bitte mit einem Kino in Ihrer Umgebung in Verbindung. Dort wird man Sie gern beraten. Gern sind wir Ihnen auch bei der Kontaktaufnahme behilflich.
Magnus Gertten
Magnus Gertten, Jesper Osmund
Mitwirkende: Nelly Mousset-Vos, Nadine Hwang, Sylvie Bianchi, Anne Bianchi, Joan Schenker, José Rafael Lovera, Irene Krausz-Fainman u. a.
92 Min
Originalfassung mit deutschen Untertiteln
92 Minuten, digital, Farbe und Schwarzweiß
ohne Altersbeschränkung
Rise & Shine Cinema
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