FilmTipp ZOOM
Das Format FilmTipp ZOOM wirft einen genauen Blick auf die Aspekte eines Films, die ihn zu etwas Besonderem machen. Das können gesellschaftspolitische Fragestellungen ebenso wie die ungewöhnliche Kameraarbeit sein. Neben einer ausführlicheren Filmbesprechung gibt FilmTippZOOM mit Leitfragen und ausgewählten Aufgaben wie z.B. einer Szenenanalyse konkrete Impulse für den Unterricht und Hinweise auf Lernhorizonte und Kompetenzerwerb.
Allen Lehrkräften, Pädagog:innen, Multiplikator:innen, Kinos, Medienzentren, Bildungsinitiativen und anderen Interessierten stehen die FILMTIPP ZOOMs im Rahmen ihrer Filmbildungsarbeit frei zur Verfügung.
Ansprechpartnerin
Sabine Genz
Tel. 030 / 2359 938 65
Gagarin - Einmal schwerelos und zurück
Sozialrealismus trifft magischen Realismus: Der 16-jährige Yuri aus der Cité Gagarine kämpft gegen den Abriss seines Zuhauses. Die Großwohnsiedlung ist sein Kindheitsort, die gelebte Gemeinschaft Teil seiner Identität. Selbst als die letzten Bewohner*innen schon längst verschwunden sind, harrt er noch aus – allein gegen die Einsamkeit. Kraft seiner Imagination verwandelt er den Plattenbau schließlich in ein Raumschiff, das ihn in neue Umlaufbahnen bringt.
Gagarine
(Sozial-)Drama, Coming-of-Age
ab 8. Klasse
ab 13 Jahre
Französisch, Deutsch, Sozialkunde, Politik, Kunst, Religion, Ethik
Nachbarschaft, Heimat, Individuum und Gesellschaft, Freundschaft, Liebe, Solidarität, Identität, Gentrifizierung, Raumfahrt
15.08.2024
Inhalt
Yuri ist 16 Jahre alt, Raumfahrtfan und in der Cité Gagarine zu Hause. In der nach Kosmonaut Juri A. Gagarin benannten Hochhaussiedlung in Ivry-sur-Seine ist er die gute Seele. Er liebt und lebt das solidarische Zusammenleben, kümmert sich um die Nachbarschaft und organisiert Reparaturen im Haus. Als die Stadt plant, die Siedlung abzureißen, formiert sich Widerstand. Yuri ist mit seinen Freund*innen Houssam und Diana vorne mit dabei. Doch trotz aller Bemühungen gelingt es nicht, den Abriss zu verhindern. Schon bald ziehen die ersten Familien weg, immer mehr Wohnungen stehen leer. Nur Yuri kann nicht gehen. Seit seine Mutter bei ihrem neuen Partner lebt, gibt es für ihn keinen anderen Ort. Im Kampf gegen die Einsamkeit träumt sich Yuri zu den Sternen, in einen schwerelosen Raum. Also verwandelt er die leerstehende Cité in ein riesiges Raumschiff – das für ihn um Hilfe ruft, eine Gemeinschaft an sich selbst erinnert und Yuri zu einem Planeten bringt, auf dem es Trost und neue Hoffnung gibt.
Umsetzung
Fanny Liatard und Jérémy Trouilh arbeiteten bereits 2014 an einem dokumentarischen Kurzfilmporträt über die Bewohner*innen der Cité Gagarine. 2019 kehrten sie für ihr Langfilmdebüt zurück. Geschaffen haben sie einen Film über Heimat- und Gemeinschaftsverlust, der sich jeder Genrezuschreibung entzieht: Milieustudie mit Coming-of-Age-Note, Archivaufnahmen aus der Blütezeit der Cité und Science-Fiction-Elemente verschmelzen miteinander. Elektronisch-atmosphärische Musik wird von eingängigen Liedern abgelöst, Sozialrealismus von träumerischer Weltraum-Ästhetik. Erzählt wird aus der Perspektive eines Jugendlichen, der den Ort seiner Kindheit verliert – selbst wenn er ihr viel zu schnell entwachsen musste. Sein Blick – eingefangen durch sein Teleskop – lässt dabei gelebte und geträumte Utopie sichtbar werden: Mal sehnt er sich zum Kosmos, ganz weit weg; mal rückt er Bilder vor das Objektiv, die mit Feingefühl vom Alltag in der Nachbarschaft erzählen. Auf diese Weise setzt der Film ein Denkmal, das nicht nur eine Gemeinschaft verewigt, sondern auch an die Idee sozialen Wohnens appelliert.
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit
Der Mischung aus erzählter Utopie und Wirklichkeit folgend, bietet der Film mehrdimensionale Gesprächsanlässe zu unterschiedlichen Themen. Anknüpfend an die reale Geschichte der Cité Gagarine – Anfang der 1960er Jahre erbaut, 1963 durch den Namensgeber eingeweiht und ab 2019 über mehrere Monate hinweg abgerissen – können Fragen und Konzepte des sozialen Wohnens in den Blick genommen werden. Anhand der Geschichten von Yuri und Diana, die mit ihrer Roma-Familie am Rande der Cité lebt und deren Zuhause gewalttätig geräumt wird, werden verschiedene Gentrifizierungs- und Verdrängungsmechanismen sichtbar. Welche Rolle spielen Orte und Menschen für unser Heimatgefühl? Was bedeutet Gemeinschaft und Nachbarschat? Referenzen auf Science-Fiction-Filme und die wiederkehrende metaphorische Bedienung von Raumfahrtnarrativen können von den Schüler*innnen herausgearbeitet werden, erlauben dabei visionäre Antworten und stellen Fragen nach Zukunftsräumen.
Veranstaltungen
Wenn Sie Interesse an einer Schulkinoveranstaltung haben, setzen Sie sich bitte mit einem Kino in Ihrer Umgebung in Verbindung. Dort wird man Sie gern beraten. Gern sind wir Ihnen auch bei der Kontaktaufnahme behilflich.
Fanny Liatard, Jérémy Trouilh
Fanny Liatard, Jérémy Trouilh, Benjamin Charbit
Alseni Bathily, Lyna Khoudri, Jamil McCraven, Finnegan Oldfield, Farida Rahouadj, Denis Lavant, Cesar 'Alex' Ciurar, Rayane Hajmessaoud, Hassan Baaziz, Salim Balthazard, Elyes Boulaïche, Fabrice Brunet, Jacques Cissoko, Mamadou Cissoko, Hassoun Dembele u. a.
98 Min
französische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
digital, Farbe
ab 12 Jahre
Film Kino Text
Internationale Filmfestspiele Cannes 2020, Französische Filmtage Tübingen 2020: Bester Film; Lumière Award 2022: Bester Erstlingsfilm