Winter adé – Filmische Vorboten der Wende
Winter adé präsentiert deutsche und osteuropäische Filme, die im letzten Jahrzehnt des Kalten Krieges entstanden sind – und in denen sich die Ahnung des bevorstehenden, tiefgreifenden Wandels bereits abzeichnet. In den Werken formuliert sich die Hoffnung auf politische oder wirtschaftliche, vor allem aber auf künstlerische Öffnung. Jeder der Filme hat auf formale oder inhaltliche Weise Grenzen erweitert und durch sein mutige Artikulation Veränderungsbedarf eingefordert.
Winter adé
DDR 1988 115 Minuten
Regie/Buch: Helke Misselwitz
Kamera: Thomas Plenert
Musik: Mario Peters
Als Helke Misselwitz auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche im Herbst 1988 ihren Film Winter adé vorstellte, kam dies einer Sensation gleich: Noch nie vorher waren Frauen in der DDR derart offen und gleichzeitig selbstverständlich vor der Kamera aufgetreten, um von ihren Hoffnungen, Sehnsüchten und Enttäuschungen zu erzählen. Der Film mit dem programmatischen Titel markierte die Unhaltbarkeit des offiziellen Meinungsbildes und verwies auf einen deutlichen Stimmungswechsel im Osten Deutschlands, der sich ein Jahr später, wiederum in Leipzig, endgültig seine Bahn brach. Darüber hinaus erweist sich Winter adé als ein künstlerisch nachhaltig wichtiger und ästhetisch geschossener Film, den es neu zu entdecken gilt.
Während einer fiktiven Eisenbahnreise der Regisseurin vom Süden der DDR zur Insel Rügen im Norden reden Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher sozialer Herkunft über ihre Hoffnungen, Probleme und Sehnsüchte. Zugleich thematisieren sie ihre Ansprüche an das Leben unter den realen Bedingungen ihres Landes. Der Zug durcheilt die vier Jahreszeiten und die Lebenszeiten verschiedener Frauengenerationen, um zu einer allgemeinen verbindlichen Aussage zu kommen. Dabei werden die persönlichen Bekentnisse der Befragten mit Takt und Würde behandelt.
Eine sensible Dokumentation, die politische Tabus bricht, außerordentlich auch durch die eindrucksvolle Kamerarbeit. Sehenswert. (Lexikon des deutschen Films)
Ein kurzer Film über das Töten (KROTKI FILM O ZABIJANIU)
Polen 1987 85 Minuten - OmU
Regie: Krzysztof Kieslowski
Kamera: Slawomir Idziak
Musik: Zbigniew Preisner
Darsteller: Miroslaw Baka, Krzysztof Globisz, Jan Tesarz, Krystyna Janda, Olgierd, Lukaszewic, Zbigniew Zapasiewicz
In der grauen Öde der polnischen Hauptstadt Warschau bringt ein vereinsamter junger Mann einen Taxifahrer auf brutale Weise um und wird nach dem Todesurteil hingerichtet. Künstlerisch dichte, schauspielerisch eindrucksvolle bildhafte Umsetzung des Fünften Gebotes: Du sollst nicht töten. In schonungsloser Direktheit konfrontiert der Film den Zuschauer mit erschreckenden Bildern, die einer weitergehenden Auseinandersetzung bedürfen, illustriert jedoch dadurch seinen unbedingten Appell für Menschenwürde und Leben. Sehenswert." (Lexikon des internationalen Films)
Jadup und Boel
DDR 1981/1988 - 103 Minuten
Regie: Rainer Simon
Buch: Rainer Simon, nach dem gleichnamigen Roman von Paul Kanut Schäfer
Kamera: Roland Dressel
Musik: Reiner Bredemeyer
Darsteller: Kurt Böwe, Katrin Knappe, Gudrun Ritter, Timo Jacob, Inga Kaltenhäuser, Uta Rauchfuß, Christian Böwe, Käthe Reichel, Franciszek Pieczka, Michael Gwisdek
Seit vielen Jahren wirkt Genosse Jadup im altmärkischen Städtchen Wickenhausen als respektabler Bürgermeister. Ausgerechnet bei der Einweihung der neuen Kaufhalle bricht ein nebenstehendes Haus zusammen und fördert vergessen Geglaubtes an den Tag: In den Trümmern findet sich das Notizbuch, das Jadup unmittelbar nach dem Krieg seiner Freundin Boel geschenkt hat. Die Aufzeichnungen konfrontieren Jadup mit seinen jugendlichen Sehnsüchten, vor allem aber mit der lange verdrängten und niemals aufgeklärten Vergewaltigung Boels. Jadup war damals außerstande, vorbehaltlos für Boel Partei zu ergreifen. Das Mädchen verließ wenig später die Stadt und wurde dort nie wieder gesehen. Bürgermeister Jadup erinnert sich nun an sein Versagen. Ein unbewältigtes Kapitel der Vergangenheit wird für ihn zum Anlass, die Gegenwart kritisch zu hinterfragen. In seinem eigenen Sohn und in dessen Zweifeln erkennt er sich selbst als jungen Mann wieder. Eine vorsichtige Annäherung der Generationen beginnt sich abzuzeichnen.
Die Vogelscheuche (TSCHUTSCHELO)
UdSSR 1983 127 Minuten OmU
Regie: Rolan Bykow, nach Motiven einer Erzählung von Wladimir Schelesnikow
Kamera: Anatoli Mukassej
Musik: Sofia Gubaidulina
Darsteller: Kristina Orbakaite, Juri Nikulin, Jelena Sanajewa
Wegen ihres kauzigen Großvaters, der als Bildersammler sein Haus vollstopft, wird eine 13jährige Schülerin in einer Provinzstadt bei Moskau von ihren Mitschülern gehänselt. Noch mehr muss sie erleiden, als sie einen Mitschüler, den sie als Freund behalten möchte, durch eine Selbstbezichtigung schützt. Ein jugendpsychologisch vorzüglich beobachteter Film mit einem langen, ruhigen Erzählfluss. Erschütternd sind die beinahe progromartigen Terroraktionen der Mitschüler, die bisweilen einen breiten Raum einnehmen. Sehenswert. (Lexikon des internationalen Films)
Das Festival des sowjetischen Films war in der DDR ein alljährlich stattfindendes Ritual, zu dem ganze Kollektive zwangsverpflichtet wurden, um ihren Kulturplan zu erfüllen. Nur 1987 war alles anders: in der UdSSR wehte ein neuer Wind, von unglaublichen Filmen ging die Rede. Plötzlich war es schwierig, überhaupt eine Karte zu bekommen...Die Vogelscheuche war der bitterste aller Perestroika-Filme, eine pessimistische Parabel auf zwischenmenschliche Verwüstungen.