Tausendschönchen
Weil die Welt verdorben ist, wollen es die unzertrennlichen Marie und Marie ihr gleichtun. Fortan tun sie nur noch, worauf sie Lust haben mit unstillbarem Appetit auf alles, was das Leben bietet, auch wenn sie damit das der anderen stören. Vĕra Chytylovás Film von 1966 unterläuft radikal und mit viel Sinn für das Absurde jegliche damalige Erzähl-und Sehgewohnheiten und überrascht noch heute. Ein zeitloses, universelles Meisterwerk, das wiederzuentdecken sich mehr als lohnt.
Sedmikrásky
Experimentalfilm
ab 11. Klasse
ab 16 Jahre
Kunst, Geschichte, Ethik, Philosophie
Rebellion, Feminismus, Experiment, Außenseiter, Individuum (und Gesellschaft), Filmklassiker, Filmsprache
27.04.2023
Inhalt
Die jungen Frauen Marie und Marie – eine blond mit Blumenkranz , eine brünett – sind sich sowohl ihrer selbst, als auch der ihrer Meinung nach verdorbenen Welt überdrüssig. Sie beschließen, auch verdorben zu werden, da Nettigkeiten ohnehin nicht honoriert werden. In der Folge stiften die beiden Unzertrennlichen, die vielleicht Schwestern, vielleicht auch nur Freundinnen sind, gewissenlos allerlei Unheil und scheren sich nicht um Konventionen. Sie leben in den Tag hinein, nehmen ältere durchreisende Herren aus, bringen einen Nachtclub in Aufruhr, beklauen selbst Freunde. Darüber hinaus legen die beiden einen kaum stillbaren Appetit auf alles gute Ess-und Trinkbare an den Tag, was natürlich nicht lange gutgehen kann.
Umsetzung
Mit unbändiger Experimentierfreude kümmert sich die Regisseurin in ihrem zweiten Spielfilm nicht um konventionelle lineare Erzählmuster. Eher wie ein Gedankenstrom besteht er aus assoziativ miteinander verbundenen Szenen, die sprunghaft zwischen farbigen und schwarzweißen Passagen wechseln und mal traumhaft, mal surreal wirken. Auch die Schnitttechnik spiegelt das wider, etwa wenn die Mädchen von einem an der Decke hängenden Saalkronleuchter direkt in einen See springen. Mit dem auch in der ČSSR vorherrschenden Diktum des sozialistischen Realismus hat diese Art des Erzählens nichts zu tun, sondern steht mit seinem unterschwelligen Witz eher in der absurden Erzähltradition der klassischen Avantgarde und des Surrealismus, was besonders augenfällig in einer Sequenz wird, in der die gelangweilten Mädchen sich in einer wilden Collage sich quasi selbst auflösen. Im unbedingten Nonkonformismus der weiblichen Hauptfiguren liegt auch die subversive Kraft des wieder zu entdeckenden Films, die an Intensität nichts verloren hat und nicht zuletzt wegen seiner Radikalität in Form und Inhalt als frühes feministisches Werk gesehen wird.
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit
Entstanden 1966 während einer kurzen Periode der kulturpolitischen Liberalisierung in der Tschechoslowakei Anfang der 1960er, hatte der Film nur eine kurze Aufführungszeit, wie übrigens auch beinahe die gesamte DEFA-Produktion desselben Jahres in der DDR. Nach dem Ende des Prager Frühlings im August 1968 wanderte der Film ins Archiv und wurde erst nach 1990 wieder aufgeführt. Chytylová wurde mit Arbeitsverbot belegt. Allein diese Fakten könnten eine sehr gute Einführung in die repressive Kulturpolitik totalitärer Regime sein und weiterhin eine Grundlage für eine in die Gegenwart führende Diskussion sein, in der wieder Kreative und Andersdenkende beispielsweise im Iran, in China oder leider wieder Russland unterdrückt werden. Neben der politischen Dimension böte sich vor allem eine Analyse der von der klassischen Moderne beeinflussten Formensprache des Films wie Collage oder Virage an, die heute nach wie vor neu frisch und innovativ erscheint.
Veranstaltungen
Wenn Sie Interesse an einer Schulkinoveranstaltung haben, setzen Sie sich bitte mit einem Kino in Ihrer Umgebung in Verbindung. Dort wird man Sie gern beraten. Gern sind wir Ihnen auch bei der Kontaktaufnahme behilflich.
Downloads
FilmTipp_Tausendschoenchen.pdfVĕra Chytylová
Věra Chytilová, Ester Krumbachová, Pavel Juráček
Jitka Cerhová, Ivana Karbanová u. a.
78 Min
tschechische Originalfassung mit Untertiteln, deutsche Fassung
Schwarzweiß/Farbe in neu restaurierter DCP-Fassung
ab 16 Jahre
Cinemalovers