Willkommen in Siegheilkirchen
Mit seinem Kinoerstling „Wer früher stirbt ist länger tot“ stieß der bayrische Regisseur Marcus H. Rosenmüller 2006 eine kleine Renaissance des deutschsprachigen Heimatfilms an. Sein in Co-Regie mit dem Grafiker Santiago López Jover entstandener Animationsfilm WILLKOMMEN IN SIEGHEILKIRCHEN - DER DEIX-FILM greift als satirische Darstellung der Nachkriegszeit ebenfalls Heimatfilmmotive auf und setzt in Anlehnung an Leben und Werk des Karikaturisten Manfred Deix viele kritische und humorvolle Spitzen.
Animationsfilm, Komödie, Coming-of-Age, Groteske
ab 10. Klasse
ab 15 Jahre
Deutsch, Kunst, Sozialkunde, Geschichte, Politik
Individuum (und Gesellschaft), Filmsprache, Erwachsenwerden, Pubertät, Kunst, Werte
07.07.2022
Inhalt
Irgendwann in den 1960er-Jahren kommt der nur „Rotzbub“ genannte Sohn zweier Wirtsleute im ländlichen Niederösterreich zur Welt. Im kleinen Dorf Siegheilkirchen herrscht noch der Nachkriegsmuff, der anderswo bereits Risse bekommt. Der Besitzer der neuen Kneipe Jazzy spielt zwar Rockmusik, doch zugleich prangt am Rathaus noch ein Hakenkreuz, das der Onkel des Jungen übermalen soll. Die prüde Dorfgemeinschaft schreckt auf, als der pubertierende Rotzbub die Metzgergehilfin Trude in einem erotischen Daumenkino verewigt. Die drallen Nacktzeichnungen begeistern die Klassenkameraden – und sind nicht nur dem Pfarrer ein Dorn im Auge. Der Gegenwind bringt den Jungen indes nicht von seinem Traum ab, Zeichner zu werden. Noch heikler wird es, als er sich in die gleichaltrige Romni Mariolina verliebt.
Umsetzung
Der Zusatztitel „Der Deix Film“ weist darauf hin, dass der animierte Coming-of-Age-Heimatfilm „Willkommen in Siegheilkirchen“ an das Leben und Werk des österreichischen Karikaturisten Manfred Deix angelehnt ist. Tatsächlich war der 2016 verstorbene Künstler in die Filmstoffentwicklung involviert, was dem ersten abendfüllenden Kinoanimationsfilm aus Österreich stilistisch wie inhaltlich anzumerken ist. Die überbetonten Körperteile und skurrilen Eigenschaften der von Co-Regisseur Santiago López Jover animierten Figuren sprechen Dialekt und zitieren klar Deix' Handschrift. Mit gedeckter, erdiger Farbgebung und gediegenen Kamerabewegungen entblößen Rosenmüller und Jover die erzkatholische Moralfassade in Siegheilkirchen, die Abgründe im trauten Heim übertünchen soll. Die zum Schluss versöhnlichen gesellschafts- und kirchenkritischen Spitzen und die Darstellung von Alkohol, Zigaretten oder Prostitution empfehlen den Film für ein heranwachsendes bis erwachsenes Publikum.
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit
Der Werdegang von Manfred Deix und seine unter anderem in der Satirezeitschrift „Titanic“ veröffentlichten Karikaturen bieten einen Anlass, über Formen der Satire und ihre Wechselwirkung mit Politik und Gesellschaft zu sprechen. Insbesondere das Stilmittel der Überzeichnung kommt im Film zur Geltung, was vor allem bei den überproportionierten Körperformen augenfällig wird, die Deix oft per Aquarelltechnik entwarf. Stilistisch interessant sind auch einige Akzentuierungen durch Zeitlupen oder ein eingefügtes Hitzeflimmern bei der ersten Begegnung mit Mariolina. Zudem regt die Darstellung der Nachkriegszeit in der Provinz ein Gespräch über vergangene Moralvorstellungen, Ressentiments und rassistische Vorurteile an. Als Vorbotin des 68er-Zeitgeists erreicht Rockmusik das Hinterland, der Berufswunsch Künstler gilt allerdings als unanständig, auch wenn der Onkel aus der Stadt sagt: „Kunst ist was Bedeutendes“. Gegebenenfalls können die Schüler*innen von ihren Eltern oder Großeltern Anekdoten und Informationen über die damalige Zeit in Erfahrung bringen und diese in Kurzreferaten vorstellen.
Veranstaltungen
Wenn Sie Interesse an einer Schulkinoveranstaltung haben, setzen Sie sich bitte mit einem Kino in Ihrer Umgebung in Verbindung. Dort wird man Sie gern beraten. Gern sind wir Ihnen auch bei der Kontaktaufnahme behilflich.
Marcus H. Rosenmüller, Santiago López Jover
Martin Ambrosch
Sprecher*innen: Markus Freistätter, Roland Düringer, Adele Neuhauser, Gerti Drassel, Thomas Stipsits u. a.
85 Min
deutsche Fassung
digital, Farbe
ab 12 Jahre
Pandora Film
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