Skadi Loist: Die Zukunft des Kinos

Als ich vor sechs Jahren anfing, das europäische Projekt des European University Film Awards (EUFA.org) mit zu entwickeln und meine Studierenden der Kommunikations- und Medienwissenschaft (ohne explizite filmwissenschaftliche Ausbildung) an der Uni Rostock fragte, was sie sonst so sehen, in welche Kinos sie gehen oder was sie vom Europäischen Film halten, war die Antwort zunächst recht ernüchternd. Selbst bei jungen Menschen, die sich mit „Medien“ auseinandersetzten, war wenig von der Vielfalt von Film und Kino angekommen. Sie gingen, wenn überhaupt ins Multiplex für Blockbuster und Franchises wie den neuesten JAMES BOND, HARRY POTTER oder damals die neue STAR WARS-Trilogie und dachten bei Europäischem Film an schlechte production values. Nach dem Kurs und einer detaillierten Diskussion von fünf aktuellen Filmen, die für den Europäischen Filmpreis nominiert waren und die sie selbst mit einem Preis, dem EUFA, küren konnten, waren sie plötzlich doch geködert. Die Einsicht, dass sich so detailliert und angeregt über verschiedenste Facetten von Film sprechen ließ und dass diese Filme fast alle auch gleichzeitig im Rostocker Lichtspielhaus Wundervoll (LiWu) liefen, beeindruckte sie. Einige fragten sogar, ob sie im nächsten Jahr noch mal mitschauen dürften. Das Konzept des EUFA, eine jüngere Generation für den europäischen Film zu begeistern, ging also auf. Der Trick ist die Mischung aus Aktualität, Beteiligung und Gesprächsangebot. Zum Kinoerlebnis gehört das gemeinsame Sehen und das Austauschen!

Bei meinem Wechsel an die Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF änderte sich – wenig überraschend beim neuen Umfeld – auch die Haltung meiner Studierenden zu den EUFA-Filmen. Als angehende Filmschaffende schauten sie mehr Filme, in Seminaren an der Filmuni oft auch direkt im hauseigenen Kinosetting. Sie waren an anderen Stellen skeptisch oder kritisch. Hier ging es in den Gesprächen eher um (Fernseh-)Konventionen und Erzählhaltungen. Beeindruckt waren sie aber gleichermaßen von der Art des ausführlichen Sprechens über Filme, die wir gemeinsam gesehen haben. Und darüber hinaus auch vom praktischen Blick in die Auswahlprozesse: Wie kommt ein Film in eine Preisauswahl und was sind die Kriterien für einen Gewinnerfilm? Viel davon ist auch bei Festivals zu beobachten. An einem Standort, an dem auch das älteste Studierenden-Filmfestival Sehsüchte – das 2021 sein 50-jähriges Bestehen feierte – organisiert wird, lag diese Verbindung nicht fern.

Für mich selbst ist das Kino seit langem stark mit der Erlebnisform Filmfestival verbunden.  Eines meiner prägendsten Kino-Erlebnisse war der Besuch des FilmKunstFests in meiner Heimatstadt Schwerin Mitte der 1990er. Festivals ermöglichen es einigen Kinos und Standorten auch andere Filme zu zeigen, unabhängig vom Diktat der Verwertbarkeit: Filme mit unterschiedlichen Ästhetiken, Erzählformen, sperrigen Stoffen und Themen. Oftmals auch mit einer größeren Vielfalt in Bezug auf Cast und Crew, wie sie in den letzten Jahren (endlich) vielfach in der deutschen Branche diskutiert werden. Nicht selten sind Festivals für kleinere Filme der einzige Ort, an dem sie im Kino oder in der Stadt gezeigt werden. Sie sind aber auch Anlass, solche Filme zu entdecken und später wegen eines gut kuratierten Programms ins Kino zurückzukehren. Kleinere, aufregend unaufgeregte, queere Filme wie FUTUR DREI, NEUBAU oder NACKTE TIERE bekommen auf Festivals – besonders auf den großen Festivals wie der Berlinale – eine Aufmerksamkeit, die auch für die weitere Kinoauswertung wichtig ist.    

Beim Kino geht es nicht nur um den Film. (Aktuelle) Filme sind inzwischen vielfach, teils einfacher, über andere Medien und Formate verfügbar. Online-Formate bieten auch Vorteile an Zugänglichkeit. Studien zeigen, dass die verschiedenen Formate (Kino, Streaming, DVD) für das interessierte Publikum nicht in Konkurrenz stehen und zeitlich über Auswertungs-fenster abgegrenzt werden müssen, sondern sich gegenseitig verstärken. Eine gleichzeitige Verfügbarkeit online bedeutet nicht, dass Cineasten nicht ins Kino gehen. Auch in einer Zukunft nach der (Corona‑)Krise wird das seit Jahrzehnten regelmäßig totgesagte Kino überleben. Die große Mehrheit der Zuschauer*innen hat laut der letzten FFA-Studie angegeben, nach der Pandemie mindestens genauso oft, wenn nicht öfter zurück ins Kino kommen zu wollen. Denn für viele sind (Festival-)Kinos ein Ort für Gemeinsamkeit und Community. Freunde, Bekannte, Cineast*innen versammeln sich, um in einer anregenden, freundlichen Atmosphäre Filme und ihre Geschichten, seien sie fiktiv oder dokumentarisch, zu feiern und zwar unabhängig davon, ob sie bei einem anderen Festival oder zuerst Online liefen. Gleichwohl bleibt natürlich die Exklusivität der Kinovorführung aus Sicht der Kino- und Verleiherbranche ein nachvollziehbares Argument.

Beim Kino geht es um die Begegnung, um den Austausch, das gemeinsame und gemeinschaftliche Erleben mit Anderen, das Lachen, Weinen, Erschrecken, Affiziert sein oder sich Abgrenzen von anderen im Saal vor der selben, großen Leinwand: sei es in der konzentrierten, zelebrierten Form des Filmfestivals, bei bedacht kuratierten Programmen oder engagiert organisierten Vorstellungen mit Gästen. 

Kinos sind Kommunikationsorte, man kommt ins Gespräch, auch mit Unbekannten. In der offenen Festivalatmosphäre fragt man andere, was sie schon gesehen haben oder empfehlen können, wenn man gemeinsam in der Schlange steht oder jemand neben einem gerade das Programmheft durcharbeitet. Festivals bieten Gesprächsstoff zwischen und mit Filmschaffenden, den Regisseur*innen und Protagonist*innen. Entweder institutionalisiert im Q&A zum Film oder entspannt informell im Festivalclub beim abendlichen Film Talk mit Gästen, wo die schüchternen Besucher*innen etwas über die Filme und Talents hören können und im Laufe des Abends die Mutigeren auch selbst Gespräche weiterführen können. 

Kinos bieten solche Gesprächsorte schon an, mindestens während Festivals. Die Zukunft des Kinos wird darin liegen, diese Qualitäten weiter herauszustellen. Gute Technik, gutes Bild und guter Sound sind relevant, klar. Noch wichtiger ist es aber, einen Ort zu schaffen, um mit einander als Zuschauende, Filmliebhaber*innen, mit Filmschaffenden und Kinomacher*innen in den Kontakt zu treten. Das muss sicher nicht immer das aufwändig zu organisierende Festival sein, vielleicht lassen sich regelmäßige Gesprächsrunden wie Filmclubs anregen. Denn einen Film kann man auch daheim anschauen, es lässt sich dann vor Ort aber viel einfacher niedrigschwellig in einen Austausch treten als online

Skadi Loist

Skadi Loist ist Juniorprofessor*in für Produktionskulturen in audiovisuellen Medienindustrien an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Nach einer frühen Vorwende-Sozialisation in Schwerin (Jg. 1978), war Mitte der 1990ern vor allem das FilmKunstFest MV prägend. Schon im Studium der Amerikanistik und Medienkultur in Hamburg und Northampton/MA, USA, waren Queer Cinema und Festivals interessant, was sowohl zu einer langjährigen Mitarbeit beim Hamburg International Queer Film Festival als auch zu einer Dissertation zu queeren Filmfestivals führte. Dieser Blick hinter die Kulissen beeinflusste dann auch aktuelle Forschungsprojekte zu Festivalzirkulation, Arbeitsbedingungen oder Diversität in der Film- und Fernsehbranche. Das Kino ist für Skadi vor allem ein Begegnungsraum.

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