
Martin Eden
Pietro Marcellos kraftvolle Künstlerstudie beruht auf dem 1909 erschienenen gleichnamigen, stellenweise autobiografischen Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Jack London. Auf italienische Verhältnisse übertragen, betont der Film gleichwohl die Zeit- und auch Ortlosigkeit der Vorlage.
Drama, (Historien-)Drama
ab 11. Klasse
ab 16 Jahre
Deutsch, Politik, Geschichte, Kunst, Ethik
Literaturadaption, Biografie, Individuum und Gesellschaft, Bildung/Bildungssystem, Armut
26.08.2021
Inhalt

Der Matrose Martin Eden ist ein wuchtiger, ungebildeter Mann, von einigem Charisma, aber auch immer bereit für eine Prügelei. Als er in Neapel die Bürgerstochter Elena kennenlernt, eröffnet sich ihm eine neue Welt. Um ihr Herz zu gewinnen, möchte er so viel lesen wie möglich und Schriftsteller werden. Doch seine an Zeitschriften geschickten Kurzgeschichten kommen stets postwendend zurück. Sein Mangel an Schulbildung scheint einfach nicht aufzuholen. Oder ist es der harte Realismus seiner Erzählungen aus dem Arbeiterleben, der andere abschreckt? In der Auseinandersetzung mit der sozialistischen Bewegung und der Evolutionstheorie des britischen Philosophen Herbert Spencer schärft Martin seinen Blick. Dieses politische Bewusstsein bringt ihn schließlich zu Fall, als sich der Erfolg unerwartet doch einstellt. Die bürgerliche Gesellschaft, die ihn als proletarischen Emporkömmling nicht anerkennen wollte und nun hofiert, empfindet der neue Literaturstar mittlerweile als verlogen. Zwischen klassenkämpferischem Furor und dekadentem Lebensstil verliert er den Bezug zur Realität.
Umsetzung

Pietro Marcellos kraftvolle Künstlerstudie beruht auf dem 1909 erschienenen gleichnamigen, stellenweise autobiografischen Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Jack London. Auf italienische Verhältnisse übertragen, betont der Film gleichwohl die Zeit- und auch Ortlosigkeit der Vorlage. Verweisen manche Szenen in Kleidung, Ausstattung und Musik auf die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, evozieren andere die Epoche zwischen den Weltkriegen. Ungewohnt sinnliche, gelegentlich experimentelle Schnittfolgen etwa zur Bebilderung eines Briefwechsels zwischen Martin und Elena erinnern an das politische, mit Namen wie Pasolini und Bertolucci verbundene italienische Kino der 1960er-Jahre. Subtil eingestreute Dokumentaraufnahmen lösen die Chronologie weiter auf und geben der Erzählung doch ihren historischen Kontext: Martin Eden erweist sich als Wanderer durch das 20. Jahrhundert, gebeutelt von dessen politischen Kämpfen, Ideologien und Freiheitsversprechen. Zwischen kommunistischer Agitation, großbürgerlicher Gleichgültigkeit und dem aufkeimenden Faschismus – man glaubt in einer Figur Mussolini zu erkennen – kommt ihm die Orientierung abhanden.
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit

Londons "Bildungsroman" wurde zumeist als "Erfolgsgeschichte" eingeordnet und verkauft – gegen den Willen des Autors. Auch im Film ist Martin Eden weit mehr ein Anti-Held als ein Held. Sein hehres Bildungsideal, das ihn unmittelbar sympathisch macht, entpuppt sich als Illusion. Aus der bitteren Erkenntnis seiner bourgeoisen Künstlerexistenz flüchtet er in den Zynismus. Im Deutschunterricht kann analysiert werden, inwiefern sich die narzisstischen und selbstzerstörerischen Züge dieser komplexen Figur schon früher zeigen, etwa in Martins Umgang mit Gönner/-innen und insbesondere Frauen. Im Hinblick auf den zeitgeschichtlichen Kontext der Erzählung lässt sich im Politikunterricht deren universaler Anspruch diskutieren. Die Hauptfigur Martin wirkt unverhofft aktuell in einer Zeit, in der die von ihm philosophisch durchleuchteten Fragen von Massenkultur, sozialer Solidarität und Selbstverantwortung die Gesellschaften von neuem spalten. Die Weitsicht, mit der Jack London diese Prozesse literarisch verarbeitete, ist so beeindruckend wie die außergewöhnliche Komposition des Films, der auch als filmästhetisches Erlebnis überzeugt.
Hinweise
Dieser Text ist eine Übernahme des "Neu im Kino" von kinofenster.de
Veranstaltungen

Wenn Sie Interesse an einer Schulkinoveranstaltung haben, setzen Sie sich bitte mit einem Kino in Ihrer Umgebung in Verbindung. Dort wird man Sie gern beraten. Gern sind wir Ihnen auch bei der Kontaktaufnahme behilflich.
Downloads
FilmTipp_Martin_Eden.pdfPietro Marcello
Maurizio Braucci, Pietro Marcello
Luca Marinelli, Jessica Cressy, Denise Sardisco, Vincenzo Nemolato, Carmen Pommella, Elisabetta Volagoi, Marco Leonardi, Autilia Ranieri, Pietro Raguso, Carlo Cecchi u. a.
129 Min
deutsche Fassung
gedreht auf 16mm, digitalisiert, Farbe
ab 6 Jahre
Piffl Medien
Internationales Filmfestival Venedig 2019: Auszeichnung als bester Schauspieler für Luca Marinelli; vier Nominerungen für den Europäischen Filmpreis